Komponieren und Konstruieren

Ich habe diesen interessanten Artikel übers Komponieren bei Kunstproduktion gefunden (generell super Blog!).

Ich teile die Ansicht dass „Inspiration“ ein relativ unbrauchbarer Begriff ist weil er nicht gut festzumachen ist. Woher kommen die Ideen? Ich würde sagen: Am ehesten aus dem was man schon kennt, letztlich aus den Bechränkungen die einem_r auferliegen. Was meine ich damit?

In Bezug auf die Musik ist die Grundsätzliche  Beschränkung das westliche Tonsystem und die Rhythmik. Die kann man natürlich auch ausschalten durch freie Rhythmik und microtonalität, mit slidegitarre, bundlosen instrumenten oder nmicht temperierten synthesizer-Controllern usw. Also „experimentelle Musik“. An der Stelle wird es aber nicht interessanter sondern (soziologisch) uninteressanter. Nicht weil experimentelle Musik schlechter wäre, sondern weil jenseits der regulierten Zeichensprache (auch Musik ist so eine) nur die Regel gilt, dass man die bisherigen Regeln nicht anwendet. Das ist damit eigentlich schon ganz gut geklärt.

Kenntnisse über Harmonielehre und Musiktheorie sind nicht nötig, manchmal hiflfreich, manchmal schädlich. Schädlich, wenn man die Theorie als Vorschrift missversteht: „ich bin in C-Dur in dem Song dürfen keine schwarzen Tasten vorkommen!“ (ich spreche aus Erfahrung).

Die Beschränkung die im Ursprungsartikel nicht vor-, und die mir sofort in den Sinn kommt, ist die körperliche. Wenn ich ein Instrument spiele ist das zu allererst eine körperliche Praxis, eine Anwendung eingeübter Handgriffe, Fußbewegungen (wahwahwah) usw. Darin drückt sich eine Unmittelbarkeit aus, die einen immer auch auf eine bestimmte Bahn lenkt. Den vierten Ton in einem Gitarrensolo ziehe ich. Das ist so. ich muss schon sehr drauf achten, wenn ich das vermeiden will.  Vielleicht liegt‘s daran dass meine instrumentalen Fähigkeiten beschränkt sind. Ich kann nicht alles spielen was mir vielleicht einfallen würde.

Jeder Inspiration folgt Konstruktion. Wenn ich eine Melodie habe wähle ich Akkorde aus, das können ganz unterschiedliche sein, nur:

  1. die Zahl der möglichen Akkorde ist beschränkt. Wer länger dabei ist weiß, bestimmte wiederholen sich oft weil man weiß welche Funktion sie erfüllen. Dann probiere ich verschiedene Varianten aus und entscheide mich für eine. Das ist mehr wie die richtigen Worte für einen Sachtext auswählen als ein Gedicht schreiben.
  2. die Entscheidung „es braucht eine Akkordfolge“ ist selbst ein Konstruktionsprinzip, auch wenn man es für eine Selbstverständlichkeit hält.

Die Prinzipien meiner musikalischen Konstruktion sind vorgegeben durch die Genres in denen ich mich bewege. Wenn die Musik eine (ziemlich uneindeutige) Sprache ist, sind Genres die Dialekte. Welche Dialekte beherrsche ich? Das hängt davon ab wo ich herkomme und – in der Musik – welche  Mittel ich zur Verfügung hab. Allein im Heimstudio entsteht schwerlich authentischer Meddl, loide! allein schon weil man kein Drumkit da hat und Drumcomputer ersetzen einfach kein echtes Schlagzeug, sie  sind kein Ersatzinstrument sondern Instrumente eigener Gattung. Macht man halt Elektro oder sowas.

Das „konstruieren“ von Musik ist eher ein intellektuelles als ein emotionales Prozedere (ich spreche nur für mich). Zufälle helfen, ein wenig aus den eingefahrenen Routinen auszubrechen. Zum Konstruieren von Musik gehört nicht nur die Aneinanderreihung von Tönen sondern auch die Konstruktion von Klängen. Also ausprobieren was passiert wenn man die ganzen Knöpfe an Synthesizern, Verstärkern, Effekten usw. dreht. Auch: welches Kabel geht von wo nach wo? Beispiel: Einen Drumbeat als midi-noten einfach mal auf einen Piano-Sound gelegt und durch einen Tonarten-Filter gejagt (damit es nicht zu schräg klingt) und du hast die Basis für ein „tightes“ Riff. Dass mir dieses Verfahren eingefallen ist kann man vielleicht unter „Inspiration“ subsumieren. Aber jetzt ist es ein Verfahrens-Wissen das immer wieder mal zur Anwendung kommt.

Anders gesagt: wenn Komponieren/produzieren/musikmachen in erster linie eine unerklärliche, transzendente Angelegenheit von Inspiration wäre, dann könnte man nicht so viele Bücher drüber schreiben usw.

Über TheGurkenkaiser

Das wird man ja wohl noch verteufeln dürfen!
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4 Antworten zu Komponieren und Konstruieren

  1. celiana schreibt:

    Hat dies auf endolex rebloggt.

  2. celiana schreibt:

    „Wenn ich ein Instrument spiele ist das zu allererst eine körperliche Praxis, eine Anwendung eingeübter Handgriffe, Fußbewegungen (wahwahwah) usw. Darin drückt sich eine Unmittelbarkeit aus, die einen immer auch auf eine bestimmte Bahn lenkt.“

    Genau! Drum komponiert sich mit Gitarre eben anders als mit Klavier. Allerdings habe ich bisweilen auch tatsächlich mal ‚im Kopf‘ oder sozusagen direkt im Noteneditor komponiert und entsprechend unmittelbar Töne gesetzt – okay, dann wäre das Instrument der Wahl eben der Noteneditor oder die eigene Vorstellungskraft (ich warte ja noch auf ein Interface was mein ‚inneres Ohr‘ direkt auf mp3 spielt…)

    Dem von dir verlinkten Post stimme ich aber in jedem Fall zu, was die Sache mit dem „Gefühl entscheidet, welche aus Erfahrung konstruierten Ideen gut sind“. Es gibt meinem Empfinden nach durchaus „inspirierte“ und „weniger inspirierte“ Stücke, und bei meinen eigenen Sachen weiß ich ganz genau bei welchen ich sozusagen ‚innerlich gebrannt‘ habe, eine gewisse Zeit darauf verwendet habe, zu suchen, zu erkunden, zu verwerfen und zu entscheiden, und bei welchen es eher so ‚meh‘ war und ich einfach nur fertig werden wollte – und nicht selten stimmt dieser innere Eindruck durchaus auch mit dem Ergebnis und dem Feedback des mehr oder weniger geneigten Publikums überein, weil ich bei ‚uninspirierteren‘ Sachen eben auch einfach meist liebloser arbeite, schneller entscheide („passt schon irgendwie“) und mich noch mehr durchschludere als sonst schon, um irgendwie zum Ende zu kommen.

    • TheGurkenkaiser schreibt:

      Ja stimmt, sachen die „in einem rutsch“ gehen sind manchmal die besten. mein track „Handlungspeter“ ist so ein beispiel. das ist ja irgendswie die „single“ wenn auch nicht im tatsächlichen sinn.

      die Entkörperlichung der Musikproduktion ist auch ein neues Phänomen. Hab mal gelesen Skrillex hat zwar 1 masterkeyboard aber meistens klickt er was mit der maus zusammen. für mich wär das keine art musik zu machen. klar nutz ich auch den noteneditor um fehler zu korrigien oder wenn ich einen sound ganz lang haben will, dann mal ich halt eine note hin und zieh sie lang.
      das ist ja vielleicht auch gar nicht so neu. ich weiß nicht ob es vielleicht „klassische“ komponisten gibt/gab die aus dem kopf heraus ohne instrument partituren schreiben.
      ich kanns nicht und ich würde es auch nicht wollen. das instrument ist für mioch das was die musik macht.

      • endolex schreibt:

        Ja, ich verstehe sehr, was du meinst – und ich glaube, Instrumente verleiten eben gerade durch ihre Einschränkungen zu kreativem Prozess, das ist dann eben die Variante „ich starte mit Stille, dann spiele ich etwas und entdecke was ich finde, und was ich dann finde, poliere ich noch ein bißchen und dann präsentiere ich es“. Das geht mir oft so, und viele meiner Tracks sind so entstanden.

        Aber es kommt eben auch nicht selten vor, dass es eher die Geschichte „Das Ohr als Instrument“ ist. Dann ist das Ohr zugleich erste und letzte Instanz: ich habe etwas im ‚inneren Ohr‘, einen bestimmten Sound, mit Melodien, Harmonien, Rhythmen – das möchte ich dann so schnell wie möglich umsetzen. Dann erscheinen mir Instrumente usw. oft wie Barrieren, die ich irgendwie durchdringen oder so aufstellen und anweisen muss damit die (annähernd!) das darstellen was mir so im Kopf rumging, und jede ‚Entdeckung‘ lenkt dann eher ab statt förderlich zu sein, weil ich einfach auf dem schnellsten Weg das, was ich innerlich höre, äußerlich hörbar machen möchte. Frustrierend, wenn das dann nicht geht!

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